Sonntag, 6. Juli 2008

02. the Kinks - dead end street




 Lange Zeit galt das Musikvideo zu Queens „Bohemian rhapsody“ von 1975 als das erstes Musikvideo, weil es die Musik nicht in einer bloßen Aufführung repräsentierte sondern auf visueller Ebene versucht wurde zur Musik ein filmisches Pendant zu schaffen. Damit grenzte es sich als erstes von Preformancevideos ab. Diese waren vorwiegend als Livemitschnitt von Konzerten, als inszenierte Nachstellungen von Auftritten in Form eines Videos oder am häufigsten als ein nachgestellter Auftritt in speziellen Musiksendungen, wie zum Beispiel „Top of the Pops“, meist mit Hilfe von Playback Einspielungen, präsent. Auch gab es bereits Musikfilme wie zum Beispiel „A hard day´s night“(1964) von the Beatles oder „Tommy“(1975) von the Who. Diese hatten aber meist Spielfilmlänge und auch Spielfilminhalte, und sind deswegen auch ehr mit Musicalverfilmungen (zum Beispiel „Hair“(1979) oder "The Rocky Horror Picture Show"(1975)) vergleichbar.
  Bereits 1966, also 9 Jahre vor „Bohemian rhapsody“ ist der Promofilm zu dem Lied „Dead end street“ von the Kinks entstanden. Der Film stellt ebenfalls bereits eine Transformation des Liedtextes in eine Erzählung da und verzichtet gänzlich auf performative Ansätze, weshalb es mittlerweile als das erste Musikvideo gilt. The Kinks zählen zu den typischen Vertretern der Modszene, welche eine Abzweigung der britischen Beatszene darstellt. Die Musiker der Szene kamen vorwiegend aus der Arbeiterklasse. Ihr Hauptaugenmerk lag aber gerade auf dem Verdecken ihrer Herkunft, durch zum Beispiel teuer wirkende Kleidung oder Accessoires. Das heißt durch eine Nachahmung des Auftretens höherer (Einkommens stärkerer) Klassen. Auf diese Weise wird mit der Möglichkeit einer selbstbestimmten Klassenzugehörigkeit gespielt und diese nicht als angeborene Beschränkung akzeptiert. Im Text wird dies durch die immer wieder in einem aggressiven Tonfall wiederholten Zeilen aus dem Refrain „People live on dead end street“ und „People are dying on dead end street“ deutlich, an die jeweils auch noch ein im Chor gerufenes „Dead end“ anschließt. Das Video zeigt auch passend dazu die Band als Totengräber der im Text als „strictly second class“ beschriebenen Arbeiterklasse, die überdies auch eine solche gar nicht mehr ist, da sie keine Arbeit mehr hat („Out of work and got no money“ und „We both want to work so hard, We can't get the chance“). Dadurch wird einmal mehr auf die Unnotwendigkeit der Lage hingewiesen.
  Das Lied beginnt musikalisch mit einer dominanten Trompete, welche Trauermarsch ähnliche Musik spielt. Auf visueller Ebene wird parallel dazu die Band als Totengräber vorgestellt. Diese sind adrett gekleidet und bewegen sich mit dem bestellten Sarg durch die Straße. Hier wird insbesondere auf die prekären Raumbedingungen verwiesen, in dem der Platz der Straße fast komplett durch die Totengräber eingenommen wird. Dieses Bild spitzt sich im Hausflur zu, wo allein der Sarg den ganzen Raum füllt. Auf diese Weise wird der beanspruche Lebensraum mit dem Raum des Sarges, das heißt dem nötigen Raum für den Leichnam gleichgesetzt. Im Liedtext ergibt sich daraus folgerichtig die Frage „What are we living for?“.
  Der Songtext beginnt in der 1. Strophe mit der recht neutral vorgetragenen Beschreibung der prekären Lebensbedingungen in der „Dead end-street“. Dies wird im darauf folgenden Refrain visuell Aufgegriffen, wo dokumentarisch die Lebensbedingungen in Form von Fotos festgehalten werden. Die Zweite Strophe setzt bei der Beschreibung der Lebensbedingungen wieder ein. Wobei hier die Zeile „And my feet are nearly frozen“ in das Bild transformiert wird, wie die dem Anlass passend fein gekleidete Witwe, ihrem Verstorbenen Gatten, die fein säuberlich geputzten Schuhe anzieht. Die Schuhe nehmen hier eine Besondere Rolle ein, was bildlich dadurch unterstrichen wird, das der Tote sonst nur mit einem euphemistischen Nachthemd und einer Schlafmütze bekleidet ist, die auch noch in einem farblichen Kontrast zueinander stehen. Die Schuhe sind das Werkzeug zum schnellen lauf1 und ermöglichen dadurch auch das Entkommen am Ende des Videos. Darüber hinaus sind Schuhe ein allgemein anerkanntes Statussymbol, welches hier über die niedere Herkunft hinweg täuschen soll. Darauf folgen Close-ups auf die Gesichter der Band, in welchen sich die Geldgier der Bestatter spiegelt. So wurde auch die Band beim betreten des Hauses durch das synchron laufende „The rent collector's knocking, trying to get in“ bereits mit den Geldeintreibern gleich gesetzt. Sie stehen somit für die Tatsache das auch das sterben Geld kostet. Es folgt erneut ein Refrain in dem dokumentarische Fotos zu sehen sind und danach eine instrumentale Bridge in der das Alltagsleben nach gespielt wird. Man unterhält sich auf der Strasse über die Nachbaren oder schaut aus dem Fenster, und bleibt somit immer im engen Horizont der Sackgasse gefangen. Aus der auch nur durch den Tot ein entkommen möglich ist. Das Lied fällt beim Abtransport des Toten aus der Sackgasse in ein beschwingtes Klavier Spiel. Kaum aus der unheilbringenden Strasse gebogen macht die Band eine Raucherpause als wäre die Arbeit bereits getan. Der Sarg wird abgesetzt und der Tote, kann als Geist fröhlich zum Takt hüpfend entkommen. Die Befreiung aus der „Dead end-street“ war somit auch ein Ergebnis der Musik, die in Form der Band verkörpert wurde.

Quelle:
1Marcel Mauss beschreibt alle Bewegungen als von der Gesellschaft geprägt. Die Schuhe führt er dabei als explizites Beispiel für Werkzeuge auf, welche Bewegungsabläufe verändern. Im Kontext der Westlichen Gesellschaft bedeutet dies auch, dass die Art und Weise wie wir laufen (schnell, zielstrebig) ökonomisch bedingt ist.
Marcel Mauss: Soziologie und Anthropologie 2: Körpertechniken. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1989, S. 204

1 Kommentar:

T.S. hat gesagt…

Nur zwei Assoziationen zur Intertextualität des Videos von The Kinks:
1. Die Art und Weise, wie der (Un-)Tote vor den Verfolgern gegen Ende des Videos wegläuft und hüpft, erinnert stark an die Fabrik-Szene von Chaplins Tramp in „Modern Times“. Auch hier ist der Ausweg nur in der Eskalation des Gewohnten zu finden.
2. Die kurzen Einblendungen bzw. Intarsien der s/w-Photographien schließen den Clip an die Thematisierung des Dokumentarischen an, wie sie im selben Jahr (1966) Antonionis „Blow Up“ aufwirft – neben den ihn langweilenden Modephotographien verfolgt der Photograph Thomas ein eigenes Projekt: den sozialdokumentarischen Blick auf die Lebensverhältnisse der Armen und Obdachlosen in s/w-Photographie.