Sonntag, 27. Juli 2008

03. Medium Wechsel
– Musikvideos vom Mainstream zum Subarchiv


 Das Musikvideo als Synthese vom Musik und Bild ist keine Erfindung von MTV. Es gab bereits vor dem 1. August 1981, dem offiziellen Start des Senders in Amerika, Experimente in dieser Richtung. „Das vermutlich erste Instrument zur Aufführung visualisierter Musik wurde Mitte des 16. Jahrhunderts von Giuseppe Arcimboldo (1527-1593), Hofkünstler am Prager Hof des Habsburgischen Kaisers Rudolph II., gebaut. Dieses »graphische Cembalo« ordnete ebenso wie das bekannter gewordene, von dem Jesuitenpater Louis-Bertrand Castel (1688-1757) entwickelte »optische Cembalo« über eine komplizierte Mechanik jedem gespielten Einzelton eine in den Raum projizierte Farbe zu. Oskar Fischinger, der in den zwanziger Jahren zu den Pionieren des avantgardistischen abstrakten Films gehörte, produzierte zwischen 1921 und 1953 etwa dreißig Filme, in denen er mit rhythmisch wechselnden Formen- und Figurenkombinationen der Musik ein visuelles Äquivalent zu schaffen suchte. Der Tonfilm hat dann ab 1929 die Möglichkeiten für solche Experimente erheblich erweitert. Insbesondere Harry Smith, unter anderem in der Zusammenarbeit mit dem Jazz-Musiker Thelonious Monk, aber auch Hy Hirsch und Norman McLaren, der mit »Begone Dull Care (Caprice en Couleurs)« (1949) Musik des Oskar Peterson Trios visualisierte, haben sich in der Nachfolge von Fischinger mit den Möglichkeiten der filmischen Visualisierung von Musik auseinandergesetzt. McLaren nutzte 1969 in »Pas de deux« unter Verwendung eines Optical Printers auch zum ersten Mal ein multiples Bild, wie es heute auf der Basis des einfacheren elektronischen Luminance Key-Verfahren in nahezu jedem Videoclip zu finden ist. Auf Hy Hirsch geht die Technik des optischen Kopierens zurück, die als Chromakey (Zusammenkopieren verschiedener Bilder) und Matting (Zusammenkopieren von Positiv und Negativ des gleichen Bildes) bekannt geworden ist und heute ebenfalls zum visuellen Standardrepertoire des Musikvideos gehört. 1961 machte der Koreaner Nam June Paik mit seinen Video-Art-Experimenten »Installations« auf den Kunstausstellungen von sich reden. Mit einer Art Videoklavier, seinem Paik-Abe-Videosynthesizer, schuf er eine eigenwillige Bildersprache zu Musik, deren man sich in den heutigen Videoclips reichlich bedient.“1
 Dennoch wurden viele Stilmerkmale des Musikvideos, wie wir es heute kennen, erst durch das Musikfernsehen (für welches der Name MTV programmatisch steht) geprägt beziehungsweise weiter entwickelt.2 In wie fern das Musikfernsehen das Musikvideo geprägt hat, wird allerdings in erster Linie durch den Produktionsumfang deutlich. Erst durch die Verbreitung von Musik durch das Fernsehen und den damit verbunden Hype in der Musikindustrie wurde die Produktion von Videos mit Millionen Budget möglich.3 Entsprechend sahen auch die Videos aus: mit teuren spezial Animationen und professionellen Schauspielern durchsetzte Filme, die sich nur da durch von Spielfilmen unterschieden, das sie auf vier Minuten zusammen geschrumpft und zum Beat der Musik geschnitten wurden. Nach der, durch das Internet verursachten Krise der Musikindustrie lies sich dieser Standard nicht mehr halten, da das Budget nicht mehr zur Verfügung stand. Das Musikfernsehen rechnete sich nicht mehr, und ging infolgedessen Bankrott. Zwar gibt es den Sender MTV noch (im Gegensatz zu den ehr alternativ ausgerichteten VivaZwei oder Onyx.tv), aber man findet auch hier nur noch selten Musikvideos beziehungsweise eine sehr beschränkte Auswahl. Das Musikvideo brauchte nun ein neues Trägermedium. So kam es dazu, dass Sammlungen von Videos auf DVD veröffentlicht wurden. Diese hatten immer einen thematische Ausrichtung, zum Beispiel das Schaffen einer Band, eines Regisseurs oder eines Genres zusammenzufassen. Zusätzlich kam durch den Verkauf der DVDs wiederum Geld in die Kasse der Musikindustrie, aber nie in dem Maße, wie man es gewohnt war. Außerdem verlor das Video hier seine Gültigkeit als Werbeträger, und wurde zur Ware an sich. Dies wiederum hatte zur Folge, dass es kaum eine Ankurbelung der Plattenverkäufe durch die DVDs gab, da sie Hauptsächlich von Fans gekauft wurden, die die Platten schon hatten. Lediglich als Beilage zu Musikmagazinen erfüllt eine DVD mit einer Auswahl an aktuellen Musikvideos noch einen Werbezweck. Jedoch halten sich solche Bemühungen in Grenzen, so gibt zum Beispiel die Spex alle drei Monate eine DVD raus, allerdings nur für Abonnenten. Ähnlich kommen auch Szene Magazine wie der Hammer (ebenfalls alle drei Monate) oder der Sonic Seducer (einmal im Jahr) als Dankeschön mit einer DVD Beilage raus. Auch hier sind die Produktionskosten für die DVD zu hoch, so das es sich für die Magazine in allgemeinen nicht rechnet, zumal viele Magazine von ihren Lesern sowieso schon als zu teuer kritisiert werden.
 Während die Musikindustrie in die Krise stürzte, wendete sich die Jugend einem neuen Gadget zu: dem Handy. Und auf einmal waren sämtliche Werbeblocks auf den Musiksendern von Klingelton Werbung belegt, da man hier die entsprechende Zielgruppe vermutete. Dies trug nicht unbedingt zur Steigerung der Attraktivität der Sender bei. Die Musikindustrie indes begann sich der Situation anzupassen, und vermarktete ab sofort (ähnlich wie sie es zuvor mit Liedern als Klingelton tat) das Musikvideo als Handyfilmchen4. Getragen vom Handyboom, entstanden zahlreiche Kooperationen zwischen Musikern und Handyherstellern, was nicht selten auch dazu führte das in den Musikclips offensiv für Handys geworben wurde. Durch diese Kooperation konnten auch weiter hin teure Video gedreht werden, mit denen man nun nicht nur die Platte sondern auch das Video vermarktete. Für die Musikszene außerhalb des Mainstream stellten die Handyvideos jedoch keine glaubhafte Alternative zur Verbreitung von Musikvideos da.
 Einige Musik Labels begannen ihre Videos auf der eigenen Seite ins Internet zu stellen. Jedoch wurden sie dort eben nur von denjenigen gefunden, die danach suchten. Zeitgleich traten auch die ersten Online-Musik-Fernsehen Projekte in Erscheinung, wie beispielsweise Tunespoon.
 Tunespoon versucht alternativer Musik ein Forum zu geben, in dem Musikvideos als kostenloser Stream im Internet angeboten werden. Die Form des Stream hat dabei ebenfalls wie zuvor beim Musikfernsehen, den Nachteil, dass der Zuschauer nicht direkt eingreifen kann, sondern lediglich konsumiert was ihm vorgesetzt wird. Das Musikfernsehen wurde also vom Fernsehen auf das Internet übertragen, ohne das man auf die Besonderheiten des Mediums Internet eingegangen ist.
 Durch das Aufkommen von Videoplattformen wie Youtube, Ourmedia oder speziell für Musikvideos popzoot.tv, ändert sich das. Hier gibt es keinen Stream mehr, es wird vielmehr ein Archiv geöffnet, an dessen Gestaltung jeder User teilhaben kann. Der Begriff User soll an dieser Stelle darauf verweisen, das die Gruppe der Nutzer, für die diese Möglichkeiten bestehen, bestimmte Bedingungen erfüllen müssen. Als Einfachstes Beispiel sei hier der Internetzugang erwähnt. Obwohl also im Zusammenhang mit Web 2.0 und Social Software gerne davon gesprochen wird, dass Jeder nun Autor sein kann, bleibt festzuhalten, dass das Internet immer noch ein Medium ist. Als solches ist es nur jenen Menschen zugänglich, die bestimmte technische Bedingungen erfüllen können. Bei Videoportalen bedeutet dies, dass zusätzlich beispielsweise auch noch eine Videokamera notwendig ist um sich zu beteiligen. Da im Amateurbereich meistens nicht mit Profiequipment gearbeitet werden kann und so statt einer Filmkamera häufig nur mit der eingebauten Handykamera und dem dazugehörigen Mikrophon gearbeitet wird, schlägt sich hier ein deutliches technisches Manko in Form von Rauschen, Verzerrung, Pixel- und Farbfehlern auf das resultierende Video nieder. Diese Fehler haben natürlich auch ästhetische Qualitäten, werden aber in der Regel im Amateurbereich nicht als solche eingesetzt.
 Des Weiteren ermöglichen es Videoplattformen dem Nutzer auch Material von anderen bereitzustellen. Dies wird zwar von den offiziellen Plattformen selber aus rechtlichen Gründen untersag, kann aber angeblich wegen der Unübersichtlichkeit und Masse nicht kontrolliert werden. Das heißt, dort wo es keinen Kläger gibt, wird auch nicht eingegriffen. Viacom (Medienkonzern und Inhaber von unter anderem MTV und Viva) hat zwar auch schon versucht gegen diese Praxis zu klagen, allerdings bisher mit wenig Erfolg. Damit kann jeder User nicht nur zum Autor bzw. Regisseur sondern auch zum Archivar werden. Entsprechend setzt sich Youtube aus vielen Subarchiven – nämlich den Sammlungen der User - zusammen, welche alle nach Kategorien (zum Beispiel bei Youtube nach: Autos, Comedy, Education...) und Suchbegriffen (Tags) eingeordnet werden. Die Kategorien geben dabei eine grobe Richtung vor, während die Tags von den Nutzern selber festgelegt werden. Das macht es nahezu unmöglich das Archiv nach etwas abwegigeren Kategorien zu durchsuchen (Beispielsweise Musikvideos mit Arbeitsmotiven). Im Konsumverhalten führt dies dann zum - aus Ferhnsehtagen bekannten - zapping. Einige Musiklabels (wie beispielsweise Universal, aber auch kleinere Labels wie Domino) nutzen diesen Effekt und haben eigene Channels eröffnet, in denen man von einer Neuerscheinung zur nächsten klicken kann.
 Das Medium Internet ermöglicht es allen Nutzern nun auch Videos zum Thema Arbeit zu drehen, wenn sie den das Bedürfnis haben. Es stellt aber durch seine Form und der damit einher gehenden Liberalisierung der Möglichkeit von Distribution viel radikaler und auch neuartiger Arbeit selber in Frage. Im Fall von Musikvideos insbesondere die Arbeit von Musikern, Regisseuren, Musikmanagern und Plattenfirmen etc. . Auch die verstärkt diskutierte Frage nach Geistigem Eigentum5 und Entwicklungen wie die Creative Commons License sind Folgen der neuen Distributionwege, die das Internet eröffnet.



Quellen:
1Peter Wicke : »Video Killed the Radio Star«: Glanz und Elend des Musikvideos. aus: Positionen. Beiträge zur Neuen Musik, 1994, 7ff
http://www2.hu-berlin.de/fpm/texte/wicke3.htm, (23.07.2008)

2ebd.
3http://www.giga.de/features/storyarchiv/00125015_die_teuersten
_musikvideos/
, (23.07.2008)

4http://www.netzwelt.de/news/72865-verkehrte-netzwelt-die
-musikvideo-verschwoerung.html
, (23.07.2008)

5www.freie-radios.net/portal/content.php?id=16541, (17.08.2008)

Sonntag, 6. Juli 2008

02. the Kinks - dead end street




 Lange Zeit galt das Musikvideo zu Queens „Bohemian rhapsody“ von 1975 als das erstes Musikvideo, weil es die Musik nicht in einer bloßen Aufführung repräsentierte sondern auf visueller Ebene versucht wurde zur Musik ein filmisches Pendant zu schaffen. Damit grenzte es sich als erstes von Preformancevideos ab. Diese waren vorwiegend als Livemitschnitt von Konzerten, als inszenierte Nachstellungen von Auftritten in Form eines Videos oder am häufigsten als ein nachgestellter Auftritt in speziellen Musiksendungen, wie zum Beispiel „Top of the Pops“, meist mit Hilfe von Playback Einspielungen, präsent. Auch gab es bereits Musikfilme wie zum Beispiel „A hard day´s night“(1964) von the Beatles oder „Tommy“(1975) von the Who. Diese hatten aber meist Spielfilmlänge und auch Spielfilminhalte, und sind deswegen auch ehr mit Musicalverfilmungen (zum Beispiel „Hair“(1979) oder "The Rocky Horror Picture Show"(1975)) vergleichbar.
  Bereits 1966, also 9 Jahre vor „Bohemian rhapsody“ ist der Promofilm zu dem Lied „Dead end street“ von the Kinks entstanden. Der Film stellt ebenfalls bereits eine Transformation des Liedtextes in eine Erzählung da und verzichtet gänzlich auf performative Ansätze, weshalb es mittlerweile als das erste Musikvideo gilt. The Kinks zählen zu den typischen Vertretern der Modszene, welche eine Abzweigung der britischen Beatszene darstellt. Die Musiker der Szene kamen vorwiegend aus der Arbeiterklasse. Ihr Hauptaugenmerk lag aber gerade auf dem Verdecken ihrer Herkunft, durch zum Beispiel teuer wirkende Kleidung oder Accessoires. Das heißt durch eine Nachahmung des Auftretens höherer (Einkommens stärkerer) Klassen. Auf diese Weise wird mit der Möglichkeit einer selbstbestimmten Klassenzugehörigkeit gespielt und diese nicht als angeborene Beschränkung akzeptiert. Im Text wird dies durch die immer wieder in einem aggressiven Tonfall wiederholten Zeilen aus dem Refrain „People live on dead end street“ und „People are dying on dead end street“ deutlich, an die jeweils auch noch ein im Chor gerufenes „Dead end“ anschließt. Das Video zeigt auch passend dazu die Band als Totengräber der im Text als „strictly second class“ beschriebenen Arbeiterklasse, die überdies auch eine solche gar nicht mehr ist, da sie keine Arbeit mehr hat („Out of work and got no money“ und „We both want to work so hard, We can't get the chance“). Dadurch wird einmal mehr auf die Unnotwendigkeit der Lage hingewiesen.
  Das Lied beginnt musikalisch mit einer dominanten Trompete, welche Trauermarsch ähnliche Musik spielt. Auf visueller Ebene wird parallel dazu die Band als Totengräber vorgestellt. Diese sind adrett gekleidet und bewegen sich mit dem bestellten Sarg durch die Straße. Hier wird insbesondere auf die prekären Raumbedingungen verwiesen, in dem der Platz der Straße fast komplett durch die Totengräber eingenommen wird. Dieses Bild spitzt sich im Hausflur zu, wo allein der Sarg den ganzen Raum füllt. Auf diese Weise wird der beanspruche Lebensraum mit dem Raum des Sarges, das heißt dem nötigen Raum für den Leichnam gleichgesetzt. Im Liedtext ergibt sich daraus folgerichtig die Frage „What are we living for?“.
  Der Songtext beginnt in der 1. Strophe mit der recht neutral vorgetragenen Beschreibung der prekären Lebensbedingungen in der „Dead end-street“. Dies wird im darauf folgenden Refrain visuell Aufgegriffen, wo dokumentarisch die Lebensbedingungen in Form von Fotos festgehalten werden. Die Zweite Strophe setzt bei der Beschreibung der Lebensbedingungen wieder ein. Wobei hier die Zeile „And my feet are nearly frozen“ in das Bild transformiert wird, wie die dem Anlass passend fein gekleidete Witwe, ihrem Verstorbenen Gatten, die fein säuberlich geputzten Schuhe anzieht. Die Schuhe nehmen hier eine Besondere Rolle ein, was bildlich dadurch unterstrichen wird, das der Tote sonst nur mit einem euphemistischen Nachthemd und einer Schlafmütze bekleidet ist, die auch noch in einem farblichen Kontrast zueinander stehen. Die Schuhe sind das Werkzeug zum schnellen lauf1 und ermöglichen dadurch auch das Entkommen am Ende des Videos. Darüber hinaus sind Schuhe ein allgemein anerkanntes Statussymbol, welches hier über die niedere Herkunft hinweg täuschen soll. Darauf folgen Close-ups auf die Gesichter der Band, in welchen sich die Geldgier der Bestatter spiegelt. So wurde auch die Band beim betreten des Hauses durch das synchron laufende „The rent collector's knocking, trying to get in“ bereits mit den Geldeintreibern gleich gesetzt. Sie stehen somit für die Tatsache das auch das sterben Geld kostet. Es folgt erneut ein Refrain in dem dokumentarische Fotos zu sehen sind und danach eine instrumentale Bridge in der das Alltagsleben nach gespielt wird. Man unterhält sich auf der Strasse über die Nachbaren oder schaut aus dem Fenster, und bleibt somit immer im engen Horizont der Sackgasse gefangen. Aus der auch nur durch den Tot ein entkommen möglich ist. Das Lied fällt beim Abtransport des Toten aus der Sackgasse in ein beschwingtes Klavier Spiel. Kaum aus der unheilbringenden Strasse gebogen macht die Band eine Raucherpause als wäre die Arbeit bereits getan. Der Sarg wird abgesetzt und der Tote, kann als Geist fröhlich zum Takt hüpfend entkommen. Die Befreiung aus der „Dead end-street“ war somit auch ein Ergebnis der Musik, die in Form der Band verkörpert wurde.

Quelle:
1Marcel Mauss beschreibt alle Bewegungen als von der Gesellschaft geprägt. Die Schuhe führt er dabei als explizites Beispiel für Werkzeuge auf, welche Bewegungsabläufe verändern. Im Kontext der Westlichen Gesellschaft bedeutet dies auch, dass die Art und Weise wie wir laufen (schnell, zielstrebig) ökonomisch bedingt ist.
Marcel Mauss: Soziologie und Anthropologie 2: Körpertechniken. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1989, S. 204