Sonntag, 10. August 2008

04. Zivis bei der Arbeit - Lucky




 2000: Britney Spears noch im Kostüm des jungen aufstrebenden Weltstars, noch mit dem Bewusstsein für ihr junges Publikums und dessen Durst nach melancholischen Liedern, welche die Welt in Frage stellen, singt vom erfolgreichen aber so unglücklichen Starlet. Der Titel heißt ironisch „Lucky“ und zeigt auf wie das Glück verloren ging als Preis für den Erfolg der Arbeit.
 2007: Die Zivildienstleistenden Patrick („schonokk“) und Daniel („DanTheZivi“) drehen ein neues Musikvideo zu „Lucky“ von Britney Spears, anstatt ihren Dienst am Staat zu leisten, so suggeriert es zumindest der Titel ihres remake: „Zivis bei der Arbeit“.
 Pop-optimistisch könnte man hier von den emanzipatorischen Eigenschaften der Popkultur sprechen, deren wesentlicher Charakterzug gerade die Aneignung der Massenkultur ist und dadurch die Differenz zur letztgenannten im Moment der Aneignung markiert.1 Die britischen cultural studies sprechen hier von „empowerment“, einer Ermächtigung, die vom Subjekt selbst ausgeht, und die durch zum Beispiel Popmusik angestoßen werden kann.2 So stellt beispielsweise in der Punkbewegung der Moment der Aneignung von Massenkultur den Schwerpunkt der Bewegung da. Mit dem Gebrauch des „do it yourself“ sollte ein kritischer, reflektierter Umgang mit Konsumgütern beschrieben werden, der in seiner Konsequenz jeglichen Konsum und die damit verbundene unnötige Arbeit ablehnt.
 Heute wird in Baumärkten und Möbelhäusern das „do it yourself“ in erster Linie benutzt, um den Konsum anzukurbeln. Und die provokativ zerschlissene Kleidung der Punks gibt es jetzt in jeder Modeboutique zu kaufen, weshalb hier auch nicht mehr von Verschleiß gesprochen werden kann, sondern nur noch von Löchern, welche auch nicht mehr auf den zeitaufwendigen, mühsamen, arbeitsbegleitenden Prozess verweisen können. Dieser Verweis wäre ein rein symbolischer, und verliert allein durch die veränderte Praxis (Löcher bedeutet nicht zwangsläufig alt) seine Gültigkeit.
 Als rein symbolisch kann auch das Video verstanden werden, da die darin geübte Kritik an den Verhältnissen auf einen sehr kleinen Ausschnitt beschränkt bleibt. So wird nicht die Arbeit im allgemeinen, sondern lediglich der Zivildienst als Zwang empfunden. Und dies, obwohl alle Arbeit durch bestimmte Mechanismen erzwungen wird, aber weniger durch gesetzliche, sondern vorwiegend durch ökonomische. Der Spielraum, welcher durch die scheinbare Möglichkeit der Wahl des Berufsfeldes eröffnet wird, suggeriert hier die Selbstverwirklichung und Freiheit. Es wäre freilich zu viel verlangt, diesen Widerspruch durch ein Video aufzulösen - dass er aber als solcher noch nicht einmal bemerkt wird, bleibt eine Schwachstelle des Clips.
 Da sich die Begrenzung auf den Zivildienst lediglich durch den Titel sowie im Abspann mit den Verweis auf die youtube group „Zivi“ vermittelt, kann das Video auf visueller Ebene radikalere Bilder finden, welche über diese von den Autoren gedachten Grenzen hinaus weisen.
 Das Video beginnt mit dem Einblenden des Namens der Sängerin („Britney Spears“) und des Titels („Lucky“) des interpretierten Musikstücks. Daraufhin wird dem Zuschauer Daniel („DanTheZivi“) mit gelbem Stroh ähnlichen Schnüren auf dem Kopf (wahrscheinlich Verpackungsmaterial) verkleidet als Britney Spears, vorgestellt. Dieser muss synchron zu den Liedzeilen „early morning - she wakes up - knock, knock, knock on the door“ von seinem ärmlichen Sofa aufstehen, um zur Arbeit zu gehen. An dieser ersten Einstellung wird schon deutlich, wie absurd verschränkt die nachgestellte Videoszene mit dem tatsächlichen Tagesablauf des Zivildienstleistenden ist. Das Originalvideo von Britney Spears beginnt hingegen als allererstes mit dem Aufziehen eines Bühnenvorhanges, also einen Verweis auf das Künstliche, Gespielte. Daraufhin sieht man sie verkleidet als Hollywoodschönheit, die von einem Diener, welcher ihr Blumen bringt, geweckt wird und die dann von ihrem großen Himmelbett aufsteht. Das Video „Zivis bei der Arbeit“ macht somit nicht nur die Unmittelbarkeit des Liedes zur eigenen Arbeitswelt deutlich, sondern auch, durch die parodierte Übernahme des Aufsteh-Motivs, die große Distanz zwischen dem Originalvideo und der Lebenswirklichkeit des Publikums.
 Durch Verzicht auf den Bühnenvorhang in „Zivis bei der Arbeit“ wird klar, dass man sich zwar verkleidet, aber trotzdem oder gerade deswegen immer noch die Wirklichkeit abbildet.
 Als nächstes geht Daniel („DanTheZivi“) ins Bad, schmiert sich dort stellvertretend für das Make-up Wandfarbe ins Gesicht, um dann auf der Arbeit zu erscheinen. Hier wartet aber nicht, wie durch den Text angekündigt („It's you they're all waiting for“) irgendwer auf ihn. Damit ist auch die Hauptaussage des Videos getroffen: Zivildienst ist sinnlos, weil Zivis auf der Arbeit machen können, was sie wollen, was daran liegt, dass erstens niemand sie kontrolliert und es zweitens auch überhaupt nichts zu tun gibt. Das einzige, was hier noch stört, ist die ironische Haltung, welche ja suggeriert, dass man sich genau dies, nämlich Kontrolle und Arbeit, wünscht.
 Es folgt eine der schönsten Einstellungen des Videos: Daniel betritt das Dach der Lagerhalle, das Panorama im Hintergrund macht deutlich, dass man sich inmitten eines Industrieparks befindet, wo er dann anfängt, typische Tanzbewegungen nachzuahmen, wie sie durch Musikvideos (beispielsweise "Macarena" oder "Bailando" ) in den 90ern verbreitet wurden. Die Szene erinnert auch stark an den Abspann von Michael Glawoggers „Megacities“ von 1998, wo ebenfalls junge ausgebeutete Arbeiter zu Popmusik tanzen. Und auch dort tanzen sie merkwürdig verloren in ihrer Arbeitsumgebung, wie beispielsweise auf einer Mülldeponie.3 Die nutzlose bumble gum Popmusik geht mit dem sinnentleerten Arbeitsalltag eine dramatische Synthese ein. Hier wird deutlich das die Frage: wer lebt Pop? eigentlich mit der Gegenfrage, Wer lebt nicht Pop? beantwortet werden müsste. Gerade auch in dem Sinne, dass der Pop die Verankerung des Widerspruches zwischen den Verheißungen durch die Massenkultur auf der einen Seite und den ernüchternden Alltag auf der anderen Seite als Praxis darstellt.4 Der einzige Unterschied scheint hier der zu sein, dass in der Popmusik das Nutzlose stets gefeiert wird.5 Hingegen wird im Arbeitsalltag das Nutzlose als negativ dargestellt und nur zu oft, zu leichtfertig auf den nutzlosen Arbeiter reduziert, welcher dann kurzerhand wegrationalisiert werden kann.



Quellen:
1Udo Göttlich / Rainer Winter: Politik des Vergnügens: zur Diskussion der Populärkultur in den cultural studies. Herbert von Halem Verlag: Köln, 2002, S. 8 f.
2Ralf Hinz: Cultural Studies und Pop: zur Kritik der Urteilskraft wissenschaftlicher und journalistischer Rede über populäre Kultur. westdeutscher Verlag: Wiesbaden, 1998, S.114 ff.
3Es ist wahrscheinlich auch kein Zufall, dass eben genau "Megacities" vor zwei Jahren durch Timo Novotny zu eine Art Megamusikvideo verwandelt wurde.
www.lifeinloops.com, (22.08.2008)

4 "Und wer lebt denn Pop? Wo ist denn jemals Pop in irgendeiner Weise vom "Repräsentationsmodell der Darstellung" herausgetreten in die konkrete Alltagspraxis der Menschen? Pop ist überhaupt kein alltagsstrukturierende Verhaltensweise, sondern vielmehr der ideologische Ausdruck genau dieser Illusion."
Roger Behrens: Die Diktatur der Angepassten. Texte zur kritischen Theorie der Popkultur. transcript Verlag: Bielefeld, 2003, S. 159

5Bei Tocotronic heißt es beispielsweise auf ihrem sehr treffend betitelten Album "Kapitulation": "Ja ich habe heute nichts gemacht - Ja meine Arbeit ist vollbracht" und "Das Nutzlose wird siegen - Das Nutzlose bleibt liegen". Tocotronic reihen sich damit wohl wissend, in eine Tradition ein, welche bis zum dekadenten "all art is quite useless" (der Schlusssatz des manifest artigen Vorwortes zu "Das Bildnis des Dorian Gray") von Oscar Wilde zurückreicht.